Verschickungskinder – der Prozess der Aufarbeitung läuft seit 2019

Der geschichtliche Hintergrund

Mehrere Millionen Kinder sind in der Bundesrepublik Deutschland von Anfang der 1950er bis Ende der 1980er Jahre zur so genannten Kinderverschickungskur entsandt worden. Weil sie beispielsweise zu blass, zu dünn waren, Asthma hatten, Tuberkulose oder Neurodermitis. Oder einfach nur, damit sie Gewicht zulegten und „Farbe ins Gesicht“ bekamen.

Dort verbrachten sie bis zu sechs Wochen, getrennt von ihrer Familie, in Kinderkurheimen und Kliniken beispielsweise an der Nordsee oder in den Alpen. Die Kosten dafür übernahmen die gesetzliche Krankenversicherung oder die Rentenversicherung, die dafür Zahlungen erhielten.

Die so genannten Entsendestellen waren vertraglich an bestimmte Einrichtungen gebunden. Sie waren verpflichtet, pro Jahr eine bestimmte Anzahl an Kindern aufzunehmen. Die Aufsicht über die Einrichtungen oblag oft den Landesjugendämtern.

Dieses gigantische staatliche Gesundheitsprogramm war für viele Kinder eine Qual, etliche wurden traumatisiert. Dazu trug die so genannte „schwarze Pädagogik“ der Nachkriegszeit bei, die auf Strenge und Strafen setzte. In manchen Häusern kam es zusätzlich zu Übergriffen und Misshandlungen – bis hin zu sexualisierter Gewalt.

Die Karlshöhe und das Thema Kinderverschickung

Von 1. Januar 1962 bis 31.Dezember 1973 befand sich das Kinderverschickungsheim Haus Carola bei Berchtesgaden in Trägerschaft der Stiftung Karlshöhe Ludwigsburg. Diese zeitliche Befristung ist auch wichtig mit Blick auf die Tatsache, dass die Einrichtung vor und nach dieser Zeit in privater Trägerschaft unter der gleichen Firmierung geführt wurde. Es also Betroffene geben kann, die zwar als Verschickungskind im Haus Carola waren, aber unter einem anderen Betreiber.

Die Stiftung Karlshöhe Ludwigsburg hat bereits 2019 mit der Aufarbeitung des Themas begonnen, um sich ihrer Verantwortung als historischer Träger des Hauses Carola zu stellen; alle Akten zum Haus Carola wurden an das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart übergeben und dort von Fachpersonal erschlossen und öffentlich zugänglich gemacht. Die Carola-Akten werden betreut von Frau Historikerin Dorothea Besch.

Mitwirkung bei der medialen Aufklärung

Die Karlshöhe hat sich bereits 2020 und 2021 gezielten Presserecherchen zu dem Thema geöffnet und die Redaktionen bei ihrer Aufklärungsarbeit unterstützt.

Im Dezember 2020 berichtete die Berchtesgadener Zeitung daraufhin u.a. auch über das Haus Carola.

Im Juli 2021 sendete der Bayerische Rundfunk unter dem Titel „Sechs Wochen Angst – Albtraum in bayerischen Kinderkurheimen“ einen TV-Beitrag. Auch in diesem Beitrag geht es u.a. um das Haus Carola.

Politische Aufarbeitung im Sinne der Betroffenen

Die Diakonie in Deutschland ist föderal organisiert. Die Diakonie Deutschland (Bundesverband) sowie das Diakonische Werk Württemberg (Landesverband) haben politische Initiativen der Aufklärung hinsichtlich der Verschickungskinder-Thematik aufgelegt.

Die Diakonie Deutschland hat u.a. ein Infoportal „Themenschwerpunkt Kinderkuren 1950-er bis 1980-er Jahre“ eröffnet.

Das Diakonische Werk Württemberg hat ein Forschungs- und Aufklärungsprojekt gestartet am Beispiel von drei ehemaligen württembergischen Trägereinrichtungen aus der Diakonie, die im historischen Kontext Verschickungsheime betrieben hatten.

Der erste Teil des Forschungsprojektes, der von der Kulturwissenschaftlerin Frau Dr. Gudrun Silberzahn-Jandt erarbeitet wurde, liegt bereits vor und wurde der Öffentlichkeit in einem Pressegespräch am 14. Juli 2023 vorgestellt.

Gegenwärtig läuft die zweite Phase dieses Projektes – ebenfalls unter der wissenschaftlichen Federführung von Dr. Gudrun Silberzahn-Jandt.

Das Diakonische Werk Württemberg kooperiert in diesem Aufarbeitungsprozess insbesondere mit den Vertretungs-Organisationen Betroffener, aber auch mit weiteren Institutionen, die in einem Beirat mitwirken.

Die Stiftung Karlshöhe durfte bereits einmal die Aufarbeitung Kinderverschickung Baden-Württemberg e.V. zu Gast auf der Karlshöhe beherbergen, als dieser Landesverband auf der Karlshöhe tagte.

Ansprechpartner für Betroffene

Die Stiftung Karlshöhe hat ein sehr großes Interesse an der Aufklärung. Wir bitten darum, dass sich Betroffene unbedingt bei uns melden, damit wir von diesen fünfzig Jahre zurückliegenden Ereignissen, die für die ehemaligen Verschickungskinder immer noch schmerzlich und gegenwärtig sind, überhaupt erfahren. Denn solche Schicksale erschließen sich nicht aus dem historischen Aktenstudium.

Wenden Sie sich bitte an:

Servicebereich Kommunikation
Michael Handrick
Leiter und Pressesprecher
Kontakt: Michael.Handrick@karlshoehe.de, Tel. 01741 965-115.

Oder direkt an den Vorstand der Stiftung Karlshöhe.