Ziemlich beste Karlshöher Freunde
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Birgit Weber:
Um es gleich zu verraten, wir sind kein Paar, wie viele oft vermuten und auch nicht verheiratet! Wir haben uns vom ersten Moment an einfach gegenseitig gemocht, uns gleich prima verstanden, lachen viel miteinander und haben richtig Spaß! Wir sind beide 56 Jahre alt, Erwin ist ein kleines bisschen älter. Wir verstehen uns blind und müssen uns nur angucken, dann wissen wir Bescheid. Wir sind auch ganz praktisch füreinander da und helfen uns, wo es geht – wie Driss und Philipp im Film „ziemlich beste Freunde. Erwin bringt mir zum Beispiel immer Getränke mit, das ist für mich zu anstrengend.
Erwin Siegel:
Wir haben uns vor 19 Jahren auf der Karlshöhe kennengelernt und haben seitdem eine tiefe Freundschaft. Ich hatte sie damals einfach einmal gefragt, ob ich ihr etwas aus der Stadt mitbringen kann. Wir telefonieren mehrfach in der Woche und unternehmen regelmäßig etwas miteinander. Wir erzählen uns alles, auch Persönliches und geben uns gegenseitig Halt.
Wie sind Sie auf die Karlshöhe gekommen?
Birgit Weber
Ich bin direkt nach der Hauptschule auf die Karlshöhe gekommen und habe von 1984 -1987 im Ausbildungszentrum der Karlshöhe eine kaufmännische Ausbildung als Bürofachhelferin abgeschlossen (heute: Fachpraktikerin für Bürokommunikation). 1986 erhielt ich das Angebot, in der Zentrale an der Poststelle mitzuarbeiten. So hatte ich schon vor Abschluss meiner Ausbildung eine Stelle und arbeite nunmehr seit 1987 dort.
Erwin Siegel:
Ich bin 2005 kurz vor Weihnachten nach einer Alkohol-Therapie in Winnenden auf die Karlshöhe gekommen. Die Chefärztin dort hatte mir die Karlshöhe empfohlen, um allein nicht wieder in Suchtgefahr zu geraten. Mir war der christliche Aspekt der Karlshöhe sofort sympathisch. Auch wenn der Wechsel von einer eigenen Wohnung in den Wohnbereich des Hauses auf der Wart (Hilfen für Menschen mit psychischen und sozialen Schwierigkeiten) für mich am Anfang nicht einfach war. In der Therapeutischen Werkstatt hingegen habe ich vom ersten Tag an sehr gern gearbeitet – und das ist bis heute so geblieben.
Macht Ihnen die Arbeit Spaß?
Birgit Weber:
Ja! Meine Arbeit macht mir wirklich sehr viel Spaß, obwohl es im Lauf der Jahre mehr geworden ist. Angefangen habe ich in der Zentrale an der Telefonvermittlung, später kam die Arbeit der Poststelle hinzu: Post kuvertieren, frankieren, eingehende Post sortieren und auf die Postfächer verteilen. Ich komme mit vielen verschiedenen Menschen in Kontakt, Mitarbeitenden der Karlshöhe, aber auch externen Gästen, das liegt mir, da ich ein kontaktfreudiger Mensch bin! Ich arbeite von Montag bis Freitag. Ich schaffe aus gesundheitlichen Gründen keine vollen 50 Prozent mehr, deshalb arbeite ich nur noch dreieinhalb Stunden am Tag.
Erwin Siegel:
Mittlerweile arbeite ich aus gesundheitlichen Gründen nur noch drei Stunden am Tag. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, nicht mehr zu arbeiten, mein Arbeitsplatz würde mir sehr fehlen. Ich bin in der Druckerei tätig, falze und hefte, dazu wurde ich an der Heftmaschine auch speziell ausgebildet, da bin ich routiniert. Vor meiner Erkrankung war ich in einer Bäckerei tätig gewesen.
Zudem habe ich auch noch Ehrenämter, die mir wichtig sind. Ich bin im Heimbeirat aktiv, im Stadtseniorenrat und ein Sprecher der rund 200 VfB-Fans im Rollstuhl, die an jedem Heimspiel auf der barrierefreien Tribüne im Stuttgarter Stadion mit Herz und Leidenschaft dabei sind.
Sie wohnen auf der Karlshöhe?
Birgit Weber:
Ich wohne seit 30 Jahren in der Siedlung auf der Karlshöhe in meiner eigenen Wohnung und fühle mich da sehr wohl. Das Wohnen auf der Karlshöhe ist schön ruhig, gleichzeitig lebt man sehr zentral. Mit Erwin zusammen sind wir beispielsweise schnell auf dem Weihnachtsmarkt, Gyros essen, im Blühenden Barock oder im Kino. Nur beim VfB waren noch nicht zusammen, da ich nicht so ein großer Fan bin wie Erwin. Unser nächster Ausflug geht mit der S-Bahn zur Firma Kemmler nach Freiberg, die uns zu einer Firmenbesichtigung eingeladen hat! Das Unternehmer-Ehepaar Reiber und das Kemmler-Team kennen wir seit vielen Jahren, wir sind die treuesten Kemmler-Fans des Kirchenkinos hier auf der Karlshöhe!
Erwin Siegel:
Ich bin eineinhalb Jahre im Haus auf der Wart gewesen, anschließend kam ich ins Ambulant Betreute Wohnen, danach drei Jahre ins Beate-Paulus-Wohnheim, 2015 bin ich aus gesundheitlichen Gründen, und weil gerade ein Platz dort frei war, in ein Wohnhaus für Senioren in der Stadt gezogen, wohne also nicht mehr auf dem Stammgelände der Karlshöhe.
Sie sind beide Rollstuhlfahrer, wie ist das gekommen?
Birgit Weber:
Ich bin von klein auf im Rollstuhl. Meinen ersten hatte ich mit drei Jahren erhalten und bin vor lauter Freude gleich allen davon gesaust – am liebsten lange Krankenhausgänge mit Karacho, so begeistert und glücklich war ich, mich endlich auch schnell fortbewegen zu können. Man kann sich vorstellen, dass meine Eltern weniger angetan waren, die rannten mir dann sozusagen händeringend hinterher mitsamt Ärzten und Schwestern. Meine Mutter erzählt heute noch davon. Ich kenne es nicht anders.
Erwin Siegel:
Ich bin Rollstuhlfahrer seit einem Wirbelsäulenbruch, dessen Ursache man nicht genau kennt. Früher konnte normal gehen, dann brauchte ich einen Rollator – und schließlich den Rollstuhl. Mit dem Rollator kann ich jetzt nur noch wenige Schritte gehen – meistens in meinem Zimmer zuhause.
Was ist Ihr Lieblingsort auf der Karlshöhe?
Birgit Weber:
Mein Balkon! Ich habe einen überdachten Balkon mit Blick Richtung Remseck und da bin ich sehr gern und oft. Oder ich fahre den Panoramaweg an der Südseite der Karlshöhe lang und genieße den weiten Blick Richtung Stuttgart.
Von der Karlshöhe werde ich mich nur mit den Füßen voraus verabschieden.
Erwin Siegel:
Auch wenn ich nicht mehr direkt auf der Karlshöhe wohne, werde ich die Karlshöhe nie verlassen. Mein Lieblingsplatz ist die Therapeutische Werkstatt.
Was sagen Sie zu dem Thema Barrierefreiheit?
Erwin Siegel:
Ich bin Mitglied des Runden Tisches für Inklusion der Stadt Ludwigsburg. In den letzten Jahren hat sich einerseits viel getan. Die Busbahnsteige in Ludwigsburg wurden beispielsweise erhöht, auch der Zugang ins Rathaus ist barrierefrei. Sogar die Verkabelungs-Übergänge auf dem Weihnachtsmarkt wurden niedriger gemacht. In viele Geschäfte kommt man als Rolli-Fahrer mittlerweile gut rein. Andererseits ist vieles nach wie vor im Argen. Viele Arztpraxen sind nur über Treppenhäuser erreichbar, Gehwege wurden früher oft leicht abschüssig angelegt, ohne Nummernschild dürfen wir aber nicht auf die viel besser befahrbare Autospur ausweichen. Pflastersteine sehen malerisch aus, sind aber für Rolli-Fahrer eine Katastrophe. Hier könnten wir uns noch lange unterhalten, das Thema hat noch viel Luft nach oben.
Was begeistert Sie an dem Film „Ziemlich beste Freunde“?
Birgit Weber:
Man kann immer Spaß haben im Leben – das ist für uns die Botschaft dieses Films. Und gute Freunde sind wichtig im Leben. Als Tandem kommt man einfach besser voran!