Kaufleute E-Commerce entwickeln Online-Webshop
(Fotos: Stefan Morgenstern)
„Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.“ Das erkannte auch Simone Glassen. Sie leitet den Ausbildungsladen Karlino des Ausbildungszentrums der Stiftung Karlshöhe (AZK) in der Ludwigsburger Wilhelmstraße seit fast zehn Jahren. Ihre Idee ist bereits weit vor den Coronazeiten geboren: Ein eigener Online-Shop.
„Wir möchten mit der Kauffrau/Kaufmann E-Commerce ein krisenfestes Berufsfeld der Zukunft erschließen“, sagt Harald Egger, Ausbilder für Marketing im AZK. Die Einrichtung, die seit mehr als 40 Jahren erfolgreich Menschen mit Behinderung zu einem anerkannten IHK-Abschluss hin begleitet, will ein neues, innovatives Ausbildungsprofil anbieten, das die bestehenden Ausbildungsberufe des AZK sinnvoll ergänzt. Denn der Online-Markt boomt. Und der bekam über die pandemiebedingten Lockdowns einen zusätzlichen Schub. Das ist auch in der Diakonie angekommen. Viele bundesweite Diakoniewerke verfügen über Online-Shops, in denen ihre Produkte vermarktet werden. Kaufleute für E-Commerce bilden bundesweit hingegen nur einige diakonische Träger aus.
Das Sortiment des Karlino ist in den vergangenen 26 Jahren stetig gewachsen wie auch der Kundenstamm. Meist sind es Eltern und Großeltern, die hier hochwertiges Holzspielzeug überwiegend aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung für ihre Kinder und Enkel einkaufen. Vom Säugling bis an die Schwelle zur Pubertät, vom bunten Mobile bis zum anspruchsvolleren Bausatz oder dem Experimentierkasten. Mehr als 500 Artikel sind im Angebot.
Kaufleute E-Commerce sind gefragt
„Es ist nicht einfach, einen Online-Shop von Null aus dem Boden zu stampfen“, betont der Marketingexperte Harald Egger. Der studierte Betriebswirt war als solcher 18 Jahre lang an der Stuttgarter Börse. Seit September 2019 baut er auf der Karlshöhe das neue Ausbildungsangebot mit auf. Er ist überzeugt: „Für unsere Azubis ist das ein Sprungbrett zu einer erfolgreichen Karriere. In dem Fach sind breit aufgestellte Spezialisten extrem gefragt.“
Die Shop-Website will gepflegt und vermarktet werden
Denn es reicht nicht aus, eine eigene Bestell-Homepage zu erstellen. Die will mit Leben gefüllt und aktuell gehalten werden, gepflegt sein. Außerdem muss sie von potenziellen Kunden mit den gängigen Suchmaschinen im Internet in erster Linie gefunden werden. Die erfolgreiche Strategie dazu steht neben vielem anderen auf dem AZK-Stundenplan. Dann muss die Seite so gestaltet sein, dass sie ins Auge sticht und die Besucher fesselt.
Gute Fotos lenken das Auge
Wie im Laden auch, muss die Ware dem Kunden präsentiert werden. Und weil der weder durch die Gänge schlendern noch die Ware anfassen kann, sollte er auch leicht finden, wonach er sucht. Gute Bilder lenken das Auge. Die Produktbeschreibungen müssen knapp und prägnant sein, vor allem aber leicht verständlich und die gängigsten Kundenfragen sofort beantworten. Das alles kompakt zu formulieren, ist oft sehr schwer und setzt eine umfassende Produktkenntnis voraus. Der Gang zur Kasse sollte schließlich ebenso einfach sein, wie im Geschäft.
Der Lagerbestand muss stets aktuell sein
Damit ist der Kauf noch lange nicht abgeschlossen. In der Wilhelmstraße verlässt der Kunde den Karlino in der Regel mit einer Tasche. Beim virtuellen Kauf wird ihm die Tüte von den E-Commerce-Kaufleuten bis vor die Haustüre gebracht. Damit das reibungslos klappt, ist es wichtig, den Lagerbestand aktuell zu halten. Päckchen und Pakete müssen geschnürt, adressiert und auf den Weg gebracht werden. Die Rechnungen müssen geschrieben werden. Das alles sollte zudem schnell gehen.
Reklamationen und Rücksendungen bearbeiten
Hat die Sendung den Adressaten erreicht, ist der Vorgang immer noch nicht zu Ende. Es gilt Reklamationen und Rücksendungen zu bearbeiten, den Geldeingang zu prüfen. Befragungen der Kunden und deren Bestellverhalten werden analysiert, interpretiert und Rückschlüsse auf das Warensortiment und die Geschäftsabläufe gezogen. Anschließend will auch der Kundenstamm gepflegt sein und zum Beispiel mit einem Newsletter regelmäßig informiert werden. Ein Online-Shop ist ein permanenter, fast unendlicher Optimierungsprozess.
Viel Stoff für eine dreijährige Ausbildung
Das ist üppig Stoff, der in drei Jahre Ausbildungszeit gepackt wird, die in einer Abschlussprüfung vor der Industrie- und Handelskammer mündet. Mittlerweile ist der zweite Jahrgang der Kaufleute für E-Commerce am Start. Sieben Anwärter zwischen 19 und 32 Jahren entwickeln gerade den Online-Shop für das Karlino. Sie haben sich meist in einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme der Karlshöhe für diesen Ausbildungszweig empfohlen, weil sie kaufmännisches Gespür zeigten, ein Talent für Zahlen und Sprache an den Tag legten und analytisch denken konnten und darüber hinaus keine Scheu vor Computern und Software hatten. Außerdem sind sie in der Lage, die Kundenperspektive einzunehmen.
Kaufleute E-Commerce: spezielle Begabungen erforderlich
Oft sind es Menschen, denen der persönliche Umgang mit Anderen schwer fällt. Dafür haben sie andererseits erstaunliche und vielfältige Stärken, sobald sie am Rechner sitzen. Dort fühlen sie sich wohl und blühen regelrecht auf. „Als wir wegen des Corona-Lockdowns zum Distanzlernen gezwungen waren, platzten sie geradezu vor Kreativität und brachten unglaublich gute Ideen ein“, ist Harald Egger begeistert. Außerdem könnten sie sich sehr gut in Problemlösungen hineinfuchsen und sich auf ihre Themen fokussieren. In der „normalen Arbeitswelt“ stechen sie damit aus der Masse hervor, übertrumpfen ihre Mitbewerber*innen oft sogar.
AZK-Absolvent*innen mit Kompetenz und Selbstbewusstsein
„Wir wollen den Auszubildenden in ihrem jeweiligen Lerntempo einen ganzen Koffer mit vielen Werkzeugen mitgeben“, sagen Glassen und Egger. Die Ausbildung gibt ihnen neben dem nötigen Fachwissen auch mehr Vertrauen in ihre persönlichen Stärken. Mit jedem Etappenziel, das sie erreichen, steigt die Erkenntnis: „Ich kann etwas, was sehr viele andere nicht draufhaben.“ Sie werden mit breiter Brust in den Arbeitsmarkt gehen und durch breitgefächertes Wissen und Können überzeugen. Haben sie einen Arbeitgeber gefunden, ist es dann an der Zeit, sich für die Aufgaben dort zu spezialisieren. Ihre Ausbilder sind optimistisch: „Sie kommen alle bestimmt gut unter.“
Thomas Faulhaber